Mein Urgroßvater war ein Terrorist. Sein Name: Gavrilo Princip. Er ermordete 1914 in Sarajevo den Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin, die Herzogin Sophie Chotek!
So jedenfalls erzählt er uns, seiner mit viel historischem Ungemach beladenen Familie, immer wieder die gleiche Geschichte. Noch heute spürt er den Rückschlag der Pistole, hört die Schreie der Umstehenden. Gavrilo Princip, mein angeblicher Urgroßvater, leidet an Gehirnschwund im Endstadium. Wie alt er genau ist, wissen wir nicht. Der echte Attentäter ist 1894 geboren und wäre heute also 130 Jahre alt, doch diese Erkenntnis - und manch Andere - ignoriert der Alte konsequent.
Mein Großvater wiederum behauptet stock und steif, er sei ein Sohn des großen Musikers und Malers Aric Brauer. Ein österreichischer Jude, eng verwandt mit dem "Froschermandl". Seine Frau, die "Spinnerin", saß im KZ und überlebte dieses als Eine von ganz Wenigen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich sie als kleiner Junge fluchen hörte. Es brauchte Jahre, bis ich verstand, daß meine Vorfahren nicht als Vorbilder geeignet sind.
Mein Vater, und jetzt wird es wirklich peinlich, war ein stockkonservativer Nazi. Er stimmt mit seinem Großvater, dem Attentäter, darin überein, daß der Erste Weltkrieg noch einmal wiederholt werden sollte. Die "Dolchstoß-Legende" hätte bewiesen, alles Übel gehe vom linksversifften Volke aus. Mir wird regelmäßig schlecht, wenn der Gehirnlose mit dem Nazi debattiert.
Meine Mutter bezeichnet sich gerne als "Trümmerfrau". Sie hätte mich in den Schatten der staubigen Ruinen gelegt, erzählt sie, und mit einem schweren Stein auf dem Schoß an der Flucht gehindert. Zu essen gab es wenig, doch mein hungergestählter Magen vertrug auch in Wasser gekochtes Sägemehl. Meine Großmutter, die fluchende Spinnerin, war weniger fleißig. Sie litt zeitlebens an ihrem KZ-Trauma und verstand die Welt nicht mehr.
Aus mir wurde, wie könnte es anders sein, ein RAF-Terrorist. Im Untergrund fand ich mich gut zurecht, mietete etliche "konspirative Wohnungen" an. Durch meinen Beschaffungseifer wurde dieser Begriff so beliebt, daß er 1978 zum Wort des Jahres gekürt wurde. Andreas Baader bot mir während der Haft an, das Zeitliche zu segnen, doch ich war feige und saß eine 25jährige Gefängnisstrafe ab. Nach der Entlassung kam ich nach Hause, zu Attentäter, Spinnerin, Froschermandl und Nationalsozialist, erlebe seit dem den ganz normalen Wahnsinn unter Menschen, die als Vorbilder einfach nicht zu gebrauchen sind! 😉
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